Vier Schätze
Die japanische Kultur und Sprache hat ihre Wurzeln weitgehend im China. Dies wird am einfachsten
daran erkennbar, dass beide Schriften auf den gleichen Zeichen aufbauen. Das japanische Wort Kan-Ji
für Schriftzeichen setzt sich aus den zwei Einzelzeichen
Kan = China
und
Ji = Zeichen,
Bei den vier Grundelementen der Kalligraphie beziehe ich mich deshalb auf den chinesischen Begriff der Vier Schätze. Diese sind:
suzuri - der Reibestein
sumi - die Tusche
fude - der Pinsel
kami - das Papier
Diese vier Grundelemente benötigt jeder Shodoka, sprich Praktizierender der Kalligraphie. Ihre Qualität und Eigenschaften bestimmen welche Feinheit und Qualität der Schriften, abgesehen von den Fertigkeiten des Schreibenden natürlich, erreicht werden. Öffnet man sich dieser Schönheit und erlebt sie, so versteht man schnell, weshalb es vier Schätze heisst und dass es Genuss bringt, sich mit den Möglichkeiten dieser vier Schätze näher auseinander zu setzen.
Bequem oder traditionell - zwei Wege zur Tusche
Um die vier Schätze in ihrem Stellenwert besser zu verstehen, möchte ich Ihnen nur über die Wahl der
Zubereitung der Tusche, deren Hintergründe und Konsequenzen zeigen. Tusche kann man auf zwei Arten
erhalten:
Man kauft die fertige flüssige Tusche, packt sie in eine Schale, verdünnt sie auf
die gewünschte Dichte und legt los. Oder man geht den traditionellen Weg, erwirbt einen Stab aus
fester Tusche und einen Reibestein, in dem der Tuschestab dann mit Wasser selbst
zu flüssiger Tusche gerieben wird.
Tusche selbst zu reiben ist erstmal eine anstrengende und Zeit konsumierende Aufgabe. Geduld und
Muskelkater strapazieren den Ungeübten besonders am Anfang. Viele Kalligraphen probieren es einmal
aus und wechseln bald zur bequemen flüssigen Tusche. Gerade bei Übungen mit grossen Zeichen benötigt
man tatsächlich viel Tusche und verbringt so enorm viel Zeit nur für die Zubereitung.
Selbst geriebene Tusche ist qualitativ der fertigen Flüssigtusche überlegen. Dies zeigt sich
besonders in der Tuschemalerei, wo man fein variierende Zwischentöne und differenzierteste
Verläufe im Papier erreichen will. Für Kalligraphie-Zeichen mit tiefschwarzer Schrift greift dieser
Vorteil nicht so, wobei verschiedene Tuschearten auch in der Sättigung sehr delikate Unterschiede
und Charaktere haben, die ich persönlich bei Flüssigtusche vermisse.
Der wahre Wert des Tuschereibens liegt jedoch wieder im Weg dem Do. Man kann nicht aus dem Alltag
heraus in die Kalligraphie schlüpfen, wie man einen Mantel auszieht, um auf Kommando entspannt darauf
los malen. Hier bieten die zehn Minuten der Tuschezubereitung einen entspannenden Einstieg, um die
nötige Ruhe für das Malen zu bekommen.
Japanische Studien melden eine heilsame Wirkung der typischen Parfümöle von Sumi, die weniger Krebs,
Herzinfarkte und Stress bewirken soll. Ob dies tatsächlich am Wirkstoff der ätherischen Öle liegt,
mag dahin gestellt sein. Aber dass die meditatative Ruhe solche Krankheiten reduziert zeigen Studien
unserer Breitengrade, bei denen das Schnurren von Katzen (und dabei geht es letztendlich ja um die
Entspannung, der man sich mit dem Stubentiger widmet) auch diese positiven Effekte hat.
Für meinen Teil möchte ich keinesfalls auf das Tuschereiben verzichten. Es ist ein elementarer
Teil, sich die Freude des Malens zu verdienen und gehört für mich zu jeder Übung. Eine ästhetische Phase
der persönlichen Widmung für die Kunst. Wenn ich nicht die Zeit habe, mich auf das Malen vorzubereiten,
sollte ich kein entspanntes Malen erwarten.
Weitere Informationen zum Reibestein, dem ersten der vier Schätze, finden Sie unter Suzuri - der Reibestein.